Vernetzung
AG Meere im Forum Umwelt und Entwicklung
Seit ihrer Gründung unterstützt die AG Meere die Koordination umwelt- und entwicklungspolitischer Organisationen im Bereich der Meerespolitik. Ein aktueller Schwerpunkt der AG ist die Formulierung von Zielen Nachhaltiger Entwicklung.
Fische und Knollen
Arbeitsgruppe Meerespolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung gegründet
Die Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war dann doch unerwartet lang geworden. 15 Organisationen waren auf Einladung des Forums Umwelt und Entwicklung (FUE) nach Berlin gekommen, um über die Gründung einer AG Meerespolitik zu debattieren. Von der Waterkant bis zu Greenpeace, von FairFish bis zum Aktionsnetzwerk Pestizide (PAN) waren sich die Teilnehmenden einig: Zum Meer muss mehr passieren.
„Für 1 Milliarde Menschen ist Fisch die Hauptproteinquelle“, erläuterte Francisco Mari vom EED in seiner Eingangspräsentation. „Die Entwicklungsländer nehmen aus dem Export von Fisch jährlich 18 Milliarden Euro ein – mehr als durch den Export von Kaffee, Tee, Zucker und Kakao zusammen.“ Dabei sind die Entwicklungen höchst widersprüchlich. So importiert Ghana, eines der wichtigsten Fischländer an der westafrikanischen Küste, inzwischen selbst 200.000 Tonnen Fisch im Jahr: Ein Ergebnis der Verpachtung seiner Fischgründe u.a. an die EU und des dadurch bedingten Niedergangs der heimischen Kleinfischerei.
Der Schutz und Erhalt des Meeres und seiner Fisch-Ressourcen ist von größter Bedeutung für die Zukunft der Entwicklungsländer. Dabei werden gerade durch den industriellen Fischfang große Teile dieser Ressourcen verschleudert. „Auf 1 Tonne Seezungen entfallen 11 Tonnen Beifang“, d.h. „mitgefangene“ Fische und Meerestiere, von denen der größte Teil weggeworfen wird. Francisco Mari zeigte Bilder von gefrorenen „Beifangblöcken“, die von Piratenfischern auf den Märkten Westafrikas verkauft werden – auch das ein Schlag gegen die einheimische Fischerei.
Für viele Teilnehmende unerwartet war der hohe Anteil von Frauen in der Fischerei. 100 Millionen Menschen arbeiten weltweit in der Fischerei, 90 Prozent davon in Entwicklungsländern, davon etwa 38 Millionen als Fischer und etwa 50 Millionen im Handel und in der Verarbeitung. Gerade im Bereich des Handels und der Verwaltung, aber auch der Finanzierung des Fischfangs, sind in vielen Entwicklungsländern hauptsächlich Frauen tätig. Es sind daher vorwiegend Frauenarbeitsplätze, die verloren gehen, wenn der einheimische Fischfang sich gegen die internationale Konkurrenz nicht mehr durchsetzen kann.
Kai Kaschinski vom Verein für Internationalismus und Kommunikation (IntKom) aus Bremen, der das Treffen zusammen mit Mari vorbereitet hatte, spannte in seiner Eingangspräsentation den Bogen noch etwas weiter. Das Meer ist nicht nur der Schauplatz eines Wettlaufs um die immer spärlicher werdenden Fischgründe. Es ist auch der Ort eines gerade erst beginnenden Rennens um die Ressourcen des Meeresgrundes. Öl aus der Tiefsee wird bereits weltweit gefördert, mit teilweise verheerenden Sicherheitsvorkehrungen, wie die Ölkatastrophe der explodierten BP-Bohrplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexico vor Kurzem demonstrierte. Am Meeresgrund liegen aber auch Bodenschätze knollenweise herum, darunter begehrte Metalle und Erden.
Gerade erst am Anfang steht der Abbau der riesigen Mengen von Methanhydrat, die sich am Meeresboden befinden. Methanhydrat ist eine hochwirksame quasi-fossile Energiequelle, in der viele Energiekonzerne das „nächste große Ding“ nach Erdöl sehen. Sein negativer Klimaeffekt ist allerdings um ein Vielfaches größer. Zur Freisetzung von Methanhydrat und damit zu einer weiteren Bedrohung des Klimas kann es nicht nur durch Abbau, sondern auch durch die globale Erwärmung selbst kommen. Wenn die Temperatur des umgebenden Wassers sich nur geringfügig verändert, kann das durch Druck und Kälte vom Wasser eingeschlossene Methan entweichen.
Umweltfragen und Entwicklungsfragen sind in der Meerespolitik aufs Engste verbunden, so die Schlussfolgerung von Kaschinski, der bei Workshops und Seminaren im letzten Jahr schon einige der teilnehmenden Organisationen an einen Tisch gebracht hatte. Dem schlossen sich auch die Teilnehmenden an, die in einer ausführlichen Runde von ihren Projekten zum Thema Meerespolitik berichteten.
„Esst mehr Fisch – das geht gar nicht!“ erläuterte Heinz-Peter Stude vom Schweizer Verein FairFish. „Wenn das gemacht würde, was Ernährungswissenschaftler ständig predigen, sind die Meere doppelt so schnell leer, wie es jetzt schon droht.“ Einen ungewöhnlichen Ansatz zeigte Georg Heiß von Reefcheck. Reefcheck kam vor 13 Jahren auf die Idee, Korallenriffe von denen überwachen zu lassen, die dort ohnehin zugange sind: Fischer und Sporttaucher. Das Experiment, Freiwilligenteams mit für Laien angepassten Methoden den Zustand der Korallenriffe „checken“ zu lassen, war so erfolgreich, dass sich eine Organisation daraus entwickelte. Gerade die EU und Deutschland müssten das Thema Korallenriffe sehr viel ernster nehmen als bisher. „Wir haben zwar keine Korallenriffe in Deutschland, aber wir haben ja auch keine Regenwälder, und zu denen engagieren wir uns intensiv.“
Die Aquakultur, die neben Verschmutzung und Klimawandel zu den stärksten Bedrohungen der Riffe gehört, beschäftigt auch das Pestizid-Aktionsnetzwerk PAN. In der Aquakultur werden medizinische und chemische Wirkstoffe eingesetzt, um die Produktion zu erhöhen und Verluste durch ungesunde Haltung zu vermindern. Diese Wirkstoffe entweichen dann ungehindert. Axel Goldin vom Verein Kritische Ökologie berichtete von der Beteiligung der EU am „Fischraub“ Marokkos vor den Küsten Westsaharas, der ehemaligen spanischen Kolonie, die von Marokko beansprucht wird, selbst aber die Unabhängigkeit beansprucht. Nach EU-Gesetzgebung ist die Nutzung von Ressourcen aus „nicht selbstregierten Gebieten“ zulässig, wenn dies den Interessen der Bevölkerung diene. Da sich das nur schwer behaupten lässt, wird neuerdings dazu übergangen, eine Nutzung durch die EU sei auch dann legitim, wenn sie „der Nachhaltigkeit dient“ – was immer das heißt.
Ferit Temur (EIKON) berichtete von der Produktion der Bildungs-DVD zum Dokumentarfilm „Hunger“, die beide vom EED unterstützt wurden. „Hunger“ lief in der Themenwoche der ARD zu Ernährung. Der Film recherchiert in Mauretanien, Kenia, Indien, Brasilien und Haiti nach den Ursachen chronischen Hungers und fehlender Ernährungssicherheit. Dabei wird auch die EU-Fischereipolitik thematisiert.
(Näheres zum Film unter www.swr.de/hunger)
Jürgen Maier vom einladenden Forum Umwelt und Entwicklung erläuterte, wie das Forum aus den zivilgesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten im Umfeld der UN-Umweltkonferenz in Rio 1992 entstand. Inhaltliche Anknüpfungspunkte zur Meerespolitik bestünden u.a. bei den AGs des Forum zu Biodiversität, Handel, Landwirtschaft oder zur Klima-Allianz. Eine eigenständige Beschäftigung mit dem Thema Meerespolitik bestehe bislang aber nicht, eine Vernetzung sei wünschenswert.
Debattiert wurde dann über die thematische Eingrenzung: Nur Fische, oder auch Knollen? Letztlich setzte sich aber die Meinung durch, dass eine AG „Meerespolitik“ die geeignete Form sei, die unterschiedlichen Aspekte zusammenzubringen. Sowohl für Fragen der Fischereipolitik, als auch für Fragen der Nutzung nicht-biologischer Ressourcen soll in der AG inhaltlich Platz sein.
Hier ist die Einladung zum Gründungstreffen der "Arbeitsgruppe Meere" im "Forum Umwelt und Entwicklung" nachzulesen.