Wir haben keine Zeit zu warten, bis die Regierung uns hilft

Ein Gespräch mit der Klimaaktivistin Lavenia Naivalu von den Fidschi-Inseln über Klimaanpassung, traditionelles Wissen und den Kampf um den Erhalt von Meeresschutzgebieten

Lavenia Naivalu war eine wichtige Stimme der Zivilgesellschaft, die zur UN Meereskonferenz Ende Juni 2022 nach Lissabon gereist war, um den Stimmen der Kleinfischerei und ihren Küstengemeinden mehr Gewicht zu verleihen. Sie ist in Fidschi eine der führenden Aktivistinnen im Kampf gegen den Klimawandel, steht dort als erste Frau einem Bezirk vor und ist zudem organisiert im LMMA-Network (Locally Managed Marine Areas Network, https://lmmanetwork.org/), das seine Aktivitäten in Lissabon in Kooperation mit Vertreter*innen der handwerklichen Fischerei aus Afrika und Lateinamerika vorbereitete. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit war ein Call for Action zum Schutz der Existenzgrundlagen der Kleinfischerei und der Küstengemeinden im globalen Süden.

Wir trafen sie am letzten Tag der Konferenz zum Gespräch.

 

Cornelia Wilß: Sie sind die erste kommunale Vorsteherin in der Geschichte Fidschis. Bitte beschreiben Sie Ihren Aufgabenbereich!

Lavanda Naivalu: Ich komme von einer Gruppe kleiner Inseln im Westen Fidschis, den Wasawi-Inseln. Der Ozean bestimmt unser Leben. Wir haben große Korallenriffe im Meer, in denen wir fischen, um unsere Familien zu ernähren und die Überschüsse zu verkaufen, um Geld zu verdienen. Ich bin für sieben traditionell geprägte Dörfer und zwei informelle Siedlungen zuständig und trage für 2000 Menschen Verantwortung. Meine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, Verwaltungsaufgaben zu koordinieren. Ich bin bei der Regierung von Fidschi angestellt und vertrete meinen Bezirk gegenüber der Regierung und anderen privaten oder nichtstaatlichen Stellen.

 

Sie und andere Vertreter*innen von Fischereigemeinden beziehen sich in ihren Statements auf das Nachhaltigkeitsziel 14.b der Agenda 2030. Wie kann der dort geforderte Zugang der Kleinfischerei zu den Meeresressourcen und Märkten verbessert werden?

Wenn wir über die Zugänge zu den Ressourcen nachdenken, dann müssen wir auch über den Beitrag, den Frauen im Fischereisektor leisten, und die Stärkung der Frauen miteinander sprechen. Endlich hat die Regierung tatsächlich die wichtige Arbeit der Frauen in unserem traditionellen System anerkannt und mich in die Position einer Bezirksvertreterin berufen. Das war also keine Werbeveranstaltung für mich als Person! Ich bin direkt von den Menschen als ihre Vertreterin gewählt worden, was im Grunde genommen bedeutet: vom Volk!

Wir versuchen mit Nachdruck, die Frauen in unseren Gemeinschaften zu empowern. Deshalb habe ich zum Beispiel das Fiji Women’s Crisis Centre (https://www.fijiwomen.com/), eine sehr einflussreiche Nichtregierungsorganisation, mit ins Boot geholt. Ich habe sie dazu bewegt, dass sie in die Dörfer kommen und helfen die Frauen zu empowern! Gerade vor Ort müssen die Menschen geschult werden. Wir können zwar auf nationaler und auch auf UN-Ebene über all diese Ziele sprechen, aber bei der Umsetzung an der Basis gibt noch es eine große Lücke.

Foto: CFFA

„Die Rolle der Frauen in der Fischerei und in Fischereigemeinschaften muss anerkannt, dokumentiert und gehört werden, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, Hunger und Armut zu beseitigen, das Wirtschaftswachstum zu fördern und widerstandsfähige Nationen aufzubauen.“ (Lavenia Naivalu, Vertreterin des LMMA Network International aus Fidschi bei der UN-Ozeankonferenz.)

 

Was unternehmen Sie konkret vor Ort?

Wir haben in unserem Bezirk einen Plan für nachhaltige Entwicklung aufgelegt, genauer gesagt einen 20-Jahres-Plan. Und jetzt geht es um die einzelnen Schritte der Umsetzung. Meine Aufgaben und Zuständigkeiten erstrecken sich auf alle Bereiche der Entwicklung in der Region, vom Dorf bis zur kleinsten Hütte. Ich kümmere mich um Bildungsaufgaben, Gesundheit, Umwelt- und Klimafragen und Ernährungssicherheit. Mit den Aktivitäten, die wir bislang unternommen haben, haben wir bereits mindestens 20 bis 30 Prozent unserer gesteckten Ziele erreicht. Wir tun also eine ganze Menge. Nicht zu vergessen: der Schutz der Meere und der Versuch, unsere Projekte zur Anpassung an den Klimawandel in Angriff zu nehmen.

 

Könnten Sie uns ein Beispiel geben?

Wir haben ein neues Konzept eingeführt, um die Wasserversorgung der Haushalte sicherzustellen. Die Fidschi-Inselkette ist seit den Tagen unserer Vorväter dafür bekannt, dass die Wasservorkommen unterirdisch angezapft werden müssen. Wir haben verschiedene Wasserquellen, eine davon ist der gottgegebene Regen, daneben haben wir Quellwasser, wir haben Bohrlochwasser und wir haben Brunnen. Wir verfügen also über Wasser, doch es gibt kein Leitungssystem, das uns rund um die Uhr mit Wasser versorgt. Deshalb mussten wir in meiner Region einen Plan für das Wassermanagement ausarbeiten und haben in mehreren Dörfern und Siedlungen mit entsprechenden Bildungsprogrammen begonnen.

Darüber hinaus müssen wir uns zukünftig besser vernetzen. Wissen Sie, wie die großen NGOs arbeiten? Sie stimmen ihre Projekte weder untereinander noch in Hinsicht auf die lokalen Bedürfnisse ab. Beim WWF Pacific habe ich beobachtet, dass dieser sich vor allem auf Ausbildung und Management konzentriert. Die Leute von Habitat for Humanity haben hingegen ganz konkrete Sanitärprojekte entwickelt. Ihnen fehlen jedoch die Mittel, um Managementschulungen durchzuführen. Ich habe also versucht, den WWF und Habitat for Humanity zusammenzubringen, um die Projekte besser aufeinander abzustimmen, anstatt dass jede Organisation ihre eigene Arbeit macht.

Wie wirkt sich die Klimakatastrophe auf Ihr Engagement aus?

Die Auswirkungen des Klimawandels sind das größte Problem, mit dem wir konfrontiert sind. Nach dem großen Zyklon Winston wurden alle Häuser entlang der Küstenlinie in meinem Dorf zerstört. Die meisten der Häuser stehen nur einen Meter vom Meer entfernt. Jedes Mal, wenn das Wasser höher aufläuft, wird die Hälfte des Dorfes geflutet. Niemand kann sich vorstellen, was wir durchmachen. Ich kann also nicht darauf warten, dass die Regierung und die NGOs uns helfen. Ich habe meine eigenen Leute, die Maßnahmen zu unserer Anpassung an den Klimawandel durchführen. Und ich sage denen, was zu tun ist. (lacht) Die Zeit drängt.

 

Ein Beispiel bitte …

Wenn ich erfahre, dass es an einem bestimmtem Küstenabschnitt zu starker Erosion kommt, setze ich mich am Sonntagabend ans Telefon, rufe die Dorfvorsteher an und sage ihnen, dass sie am Montag an den gefährdeten Orten Schutzanpflanzungen machen müssen. Die Chiefs kümmern sich dann darum, dass es alle im Dorf erfahren, damit die Leute auch wirklich alle zusammenkommen. „Das ist unsere Aktivität für den Tag. Ihr müsst alle kommen und jemanden mitbringen. Ja, genau. Ihr müsst das tun, und ihr müsst mit euren fünf Geschwistern oder wem auch immer kommen.“ So in etwa rufen sie die Leute zusammen. Ich denke, dass wir versuchen müssen, uns selbst zu retten. Anders gesagt: Wir wollen das Nachhaltigkeitsziel 14b erreichen, ohne dass die Regierung und die NGOs kommen und uns sagen, was wir zu tun haben. Deshalb betreiben wir unsere eigene Wissenschaft, die auf traditionellem Wissen beruht.

Wie stark ist traditionelles Wissen verbreitet?

Wissen Sie, was ich den Leuten zu Hause erzähle, ist, dass unsere Vorfahren mit ihrem traditionellen Wissen vorhergesagt haben, dass der Klimawandel unser Feind ist. Sie wussten, dass diese Zeit, die wir jetzt erleben, kommen würde. In unserer Generation sind die Menschen bequem geworden. Ihre Häuser haben direkt am Strand gebaut, weil sie dann nah an ihren Nahrungsquellen waren. Im Unterschied zu unseren Vorvätern. Sie ließen sich auf den Hügeln nieder, weil sie wussten, dass sie dort besser geschützt sind. Das ist traditionelles Wissen. Sie bauten auch mehr Feldfrüchte an, nicht nur Maniok, der schnell in die Höhe wächst. Sie pflanzten Süßkartoffeln und Yams oder Kawai. Wirbelstürme können diesen Pflanzen weniger anhaben, weil sie nah am Boden austreiben. Die zwei Jahre der Pandemie COVID 19 habe ich zum Beispiel genutzt, um traditionelle Praktiken in unsere Dörfer zurückzubringen. Zum Beispiel gab es vor der Pandemie nur drei ältere Frauen im Dorf, mich eingeschlossen, die das Töpferhandwerk beherrschten. Jetzt werden es mehr, und andere Frauen haben sich die Webkunst wieder zu eigen gemacht oder flechten Gegenstände aus Pandanus Blättern. Wisst ihr, wir sind auf unser traditionelles Wissen angewiesen, wenn wir überleben wollen!

Sie wurden von der Zivilgesellschaft eingeladen, zur UN-Meereskonferenz zu reisen und über Fischereimanagementpläne und -strategien, die indigene und lokale Gemeinschaften und Fischerinnen einbeziehen, zu sprechen. Welche Erfahrungen haben Sie auf der Konferenz gemacht?

Ich hatte hier jeden Tag die Möglichkeit zu sprechen. Grundsätzlich setze ich mich dafür ein, dass die Stimmen der Kleinfischerei auf allen Ebenen gehört werden, insbesondere bei politischen Entscheidungsprozessen. Zurück zu Hause werde ich von den hier aufgestellten Forderungen und den gemachten Erfahrungen berichten. Ich bin nicht regierungsfeindlich eingestellt, aber ich möchte von einer Entwicklung erzählen, die wir erst seit letztem Jahr beobachten. Bei uns zu Hause gibt es Meeresschutzgebiete, mit denen wir versuchen das Nachhaltigkeitsziel 14 umzusetzen. Dabei verfolgen wir einen integrativen lokalen Ansatz, um unser Meeresleben zu schützen. Vor diesem Hintergrund haben wir mit der lokalen Bevölkerung vor allen Dörfern und Ferienorten, die wir haben, traditionelle Meeresschutzgebiete geschaffen, die zugleich auch von der Regierung anerkannt wurden.

 

Und was ist passiert?

Seit einiger Zeit werden von der Regierung Lizenzen für den Fischfang in Fidschi vergeben. Und jetzt stehen wir an einem Scheideweg. Ich meine, jeden Samstag schicke ich meine beiden Jungs zum Fischen. Sie laufen kilometerweit, weil wir in den von uns ausgewiesenen Meeresschutzgebieten nicht fischen dürfen. Doch dann kommen die großen Boote. Sie haben eine Lizenz von der Regierung, und sie fischen ungestört in den Meeresschutzgebieten.

Sie meinen, in den Meeresschutzgebieten, die Sie eingerichtet haben?
Ja. Sie bekommen eine Menge Lizenzen. Normalerweise darf dort niemand fischen.
Weil die Gewässer heilig sind. Unsere Gemeinschaft hat einen eigenen gemeindebasierten Fischereimanagementplan, der uns hilft, unsere Fischgründe nachhaltig zu bewirtschaften. Neben den Meeresschutzgebieten haben wir zudem Managementpläne für unsere Mangrovenwälder, um auch diese zu schützen. Zusätzlich pflanzen wir von Seiten der Gemeinde Korallen. Aber all das interessiert die Regierung nicht; sie vergibt die Lizenz an unseren Bedürfnissen vorbei. Die Regierung und die Leute, die die politischen Entscheidungen treffen, wollen uns nicht zuhören. Was nützt es, hierher in die EU zu kommen und ausführlich über all dies zu sprechen, wenn man es zu Hause nicht umsetzen kann? Als jemand, der viel Verantwortung hat, kann ich nicht einfach herumsitzen und mich von Leuten über den Tisch ziehen lassen. Und die unermüdlichen Anstrengungen, die meine Leute für den Schutz der Meere unternehmen, wohin führen die letztendlich?

Welche Forderungen haben Sie?

Wir haben traditionell das Recht, das Meer zu nutzen. Aber wie gesagt, unsere Stimmen werden nicht gehört. Wir brauchen mehr rechenschaftspflichtige und transparente Fischereimanagementpläne und -politiken, die unsere lokalen Gemeinschaften und die handwerkliche Fischerei einbeziehen. Wir müssen wissen, wie viele Fanglizenzen vergeben werden, ob sie mit den Bewirtschaftungsplänen übereinstimmen, wie viel Einnahmen sie erbringen und ob ein Teil davon wieder in Bewirtschaftungsmaßnahmen investiert werden kann. Wir haben ein Recht auf diese Informationen, sie sollten gemäß den Mindeststandards der Initiative für Transparenz in der Fischerei veröffentlicht werden. Die Regierung steht in der Verantwortung dafür, so zu handeln, dass sie den Bedürfnissen der Gemeinden entsprechen – nicht umgekehrt. (https://www.cffacape.org/ssf-call-to-action)

Lavenia, vielen Dank für das Gespräch!

Cornelia Wilß für Fair Oceans, Juli 2022

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