Wir müssen uns auf allen Ebenen von der Gemeinde bis hin zu den Organisationen der Vereinten Nationen ein Bild von den verheerenden Folgen des Klimawandels auf die Fischerei machen. Das hat für mich Priorität.

Ein Gespräch mit Dawda F. Saine über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Kleinfischerei in Westafrika, die Bedeutung der Mangroven für den Küstenschutz und sein Engagement für mehr Klimagerechtigkeit

Cornelia Wilß für Fair Oceans und Brot für die Welt, November 2020

English Version: EN_Interview Dawda Saine

Herr Saine, Sie sind Generalsekretär von CAOPA und Meeresbiologe. In der 2010 gegründeten Organisation, the African Confederation of Professional Artisanal Fisheries, sind 25 afrikanische Länder vertreten. Seit Jahren setzen Sie sich persönlich und als Vertreter der Kleinfischer in Gambia und von CAOPA für die Rechte und die Interessen der handwerk­lichen Fischerei in Westafrika ein. In letzter Zeit warnen Sie vehement vor den Auswirkungen des Klimawandels auf den Fischerei-Sektor? Welche konkreten Bedrohungen sehen Sie?

Dawda F. Saine:  Wir haben in Gambia, meinem Heimatland, die Lobbyorganisation The Gambia National Association of Artisanal Fisheries gegründet und beobachten schon seit einiger Zeit Veränderungen im Meer und an den Küsten, die uns beunruhigen. Ich möchte das kurz erklären:

Die Fische, die wir in Gambia hauptsächlich konsumieren und die wichtig für die Versorgung unserer Bevölkerung mit Fischprodukten sind, sind zu ca. 75 Prozent pelagische Arten, meist Sardellen und Makrelen. Doch der Fischfang stellt den betroffenen Sektor und die Menschen, die darin arbeiten, vor immer größere Herausforderungen. Die Fischgründe sind aus verschiedenen Gründen überfischt, das ist bekannt, aber schauen wir hier einmal genauer auf die Klimafaktoren: Wir wissen noch nicht genau, wie sich die Versauerung der Meere auf die pelagischen Arten auswirkt. Aber wir müssen uns klar machen: Wenn vermehrt Kohlendioxid ins Meerwasser gelangt, entsteht Kohlensäure, die sich negativ auf die Fischbestände auswirkt. Als Erstes sind die Fischschwärme betroffen, die wie viele für uns wichtige pelagische Arten im oberen Teil der Wassersäule schwimmen. Schwärme von Kleinfischen, deren Lebensraum früher in Küstennähe war und die leicht zu fischen waren, wandern nun zudem in tiefere, kühlere Gewässer ab. Nicht nur, dass deshalb die guten Fangmengen aus früheren Zeiten zurückgegangen sind. Schlimme Auswirkungen wird der Umstand nach sich ziehen, dass deshalb in einigen Ländern immer häufiger Fische gefangen werden, die noch nicht ausgewachsen sind. Auf Dauer hat das fatale Folgen. Es ist doch klar: Wenn du heute den Jungfisch aus dem Meer holst, ist das reproduktive System nachhaltig gestört und du wirst morgen weniger Fisch fangen können.

Auch die Fangfahrten sind unmittelbar vom Klimawandel betroffen. In Westafrika beginnt die Regenzeit gewöhnlich im Juni und endet im November, bedingt durch den Klimawandel werden die Stürme und der Wellengang heftiger. Es ist riskant für die Fischer mit den kleinen Pirogen, auch wenn sie eine Außenbordsteuerung haben, bei schlechtem Wetter weit aufs offene Meer zu fahren. Wenn die Wettereignisse zu extrem sind, müssen sie an Land bleiben. Es ist viel zu gefährlich. Die Fangtage sind so deutlich geringer geworden als noch vor zwanzig Jahren. Kurz gesagt: Die Fangfahrten draußen auf dem Meer werden riskanter, die Fangmengen, die angelandet werden, weniger. In Gambia sind die Fischfänge in letzten Jahren um mindestens 40 Prozent zurückgegangen. Manchmal brauchen die Fischer eine ganze Woche auf See und kehren mit weniger Fisch an Land zurück als früher. Betriebswirtschaftlich ist das alles ein Risiko, weil die Fischer weniger Einnahmen haben, aber größere Ausgaben und Kredite aufnehmen müssen. Der Mehraufwand für den Treibstoff der Fangschiffe, für Löhne und andere Kosten ist für die handwerkliche Fischerei erheblich und viele können sich ihn kaum leisten.

Bedeutet der Klimawandel eine reale Gefahr für die Ernährungssicherheit?

Wir haben in den letzten Jahren eine Reihe von Untersuchungen zusammen mit der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen durchgeführt. Die Studien besagen, dass der Rückgang der Fangmengen nicht nur die Fischerfamilien betrifft. Die ganze Bevölkerung ist betroffen. Das verminderte Angebot löst steigende Preise aus und für viele Menschen wird dann der ehemals günstige Fisch unerschwinglich teuer. Die Hälfte der Bevölkerung muss von einem Dollar oder weniger am Tag leben, und gerade für sie ist Fisch als Proteinquelle unverzichtbar. Außerdem verschafft der Fischerei-Sektor in Gambia schätzungsweise 200.000 Menschen direkt und indirekt Arbeit: Fischer, Fischverarbeiterinnen, Bootsbauer, Spediteure, Fischhändler. Auch hier wird es negative Auswirkungen geben. Diese Entwicklung betrifft im Übrigen nicht nur den Fischfang aus dem Meer. Auch der Fischfang im Deltagebiet des Gambia-Flusses droht weniger ertragreich zu werden. Grund dafür ist zum einen das Vordringen von Salzwasser in die bisherigen Brackwasserzonen. Verantwortlich dafür sind häufigere Überschwemmungen und der steigende Meeresspiegel. Zeitgleich trocknet der große Gambia-Fluss mehr und mehr aus, weil es weniger Niederschläge in seinem Einzugsgebiet  gibt. Der Fluss ist einer der großen Ströme, die durch Westafrika fließen.

Mangroven säumen die tropischen Küsten der Welt. Die Bäume gedeihen dort am besten, wo die Lebensbedingungen für gewöhnliche Baumarten tödlich sind. Warum sind Mangroven für den Küstenschutz so wichtig?

Gesunde Mangrovenwälder sind für Westafrika und ganz Afrika von großer Bedeutung. Sie bilden eine wirksame Barriere gegen Flutwellen und Überschwemmungen und das Vordringen des salzigen Meereswassers. Wenn es zur Versalzung zum Beispiel der flachen küstennahen Grundwasserspeicher kommt, ist das saubere Trinkwasser auch in den urbanen Gebieten der Städte gefährdet. Mangroven schützen unsere Küsten und die Lebensräume der Menschen davor wie auch vor einer Erosion der Küste und außerdem sind sie eine Nahrungsquelle.

Die Mangrovenwälder wurzeln am Übergang zwischen Land und Meer und sind den Gezeiten ausgesetzt. Sie werden regelmäßig von Salzwasser überschwemmt, sind aber in der Lage, durch ein besonderes Filtersystem, hohe Salzkonzentrationen zu verdünnen und verwandeln so Salzwasser in Süßwasser. das sie normalerweise nutzen können. In Gambia sind in jüngster Zeit dennoch Mangroven aufgrund eines extrem hohen Salzgehalts an den Flussufern, der durch Überschwemmungen aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels und durch lange Dürreperioden verursacht wird, stark geschädigt worden. Auch das ist eine Folge des Klimawandels und keine gute Nachricht, da das Ökosystem der Mangrovenwälder für den Küstenschutz, aber auch für das Überleben und die Fortpflanzung von Fischen wichtig ist.

Wie funktioniert die Pflanze? Können Sie das bitte kurz beschreiben?

Die sogenannten Stelz- und Luftwurzeln halten das Sediment im Boden zurück und verhindern, dass es ausgewaschen wird. Im Schlick sammeln sich enorme Mengen an organischem Material an: abgefallene Blätter, abgestorbenes Holz und Wurzeln, Ausscheidungen von Fischen und Krabben sowie angeschwemmtes Material von Flüssen und Tiden. Sie sind ein idealer Lebensraum für eine Vielzahl an Fischen, Krebsen und Garnelen und sie bieten hervorragende Bedingungen für deren Larven und Jungtiere. Mangrovenwälder sind wie gesagt entscheidend für gesunde Fischbestände, aber sie tragen auch sonst zur Ernährungssicherheit bei. Neben Fischen, Langusten und anderen Meerestieren liefern Mangrovenwälder auch Algen, Früchte, Salz und Blätter für Tierfutter. Und wussten Sie, dass Mangroven Bienen als Nahrungsquelle dienen? Der beste weiße Honig, den ich kenne, stammt von den Mangroven.

Wir sind uns auch darüber bewusst, dass Mangrovenwälder beim Klimaschutz helfen. Sie sind hocheffiziente Kohlenstoffspeicher. Es gibt Studien, die besagen, dass im Durchschnitt über 1000 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar Mangrovenwald gespeichert sind. Werden die Wälder zerstört, entweichen das CO2 und auch andere Treibhausgase wie Methan und Stickstoff in die Atmosphäre. In den letzten Jahren haben wir aus diesem Grund viel zur Wiederaufforstung der Wälder unternommen.

Was wird zum Schutz der Mangrovenwälder getan?

Wir haben verschiedene wirksame Programme entwickelt, um das Absterben der Mangrovenwälder aufzuhalten und haben neue Bäume gepflanzt, anstatt weitere Bäume abzuholzen. Die Pflege dieses komplexen Ökosystems setzt viel Wissen voraus. Man muss wissen, in welchen Gewässern eine bestimmte Pflanze gedeiht und einen vorsichtigen Umgang mit dem Wurzelwerk pflegen. In Gambia ernten meistens Frauen die Austern, die an den Mangrovenwurzeln haften. Dafür benutzen sie jetzt keine Macheten oder Äxte mehr, um die Wurzeln wie früher einfach abzuschlagen. Die Austern werden nun vorsichtig mit Messern von den Wurzeln gelöst. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wir auch im Alltag die Mangrovenwälder vor weiterer Zerstörung versuchen zu schützen.

Was unternehmen die westafrikanischen Staaten gegen den Klimawandel und welche Forderungen stellt CAOPA im Hinblick auf Klimawandel und Fischereipolitik?

Den Klimawandel zu bekämpfen das ist eine riesige Herausforderung. Soweit es den afrikanischen Kontinent betrifft: Wir haben nicht das technische Knowhow, die wissenschaftliche Expertise oder die finanziellen Mittel, um wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, zum Beispiel um das Ansteigens des Meeresspiegels aufzuhalten. Wir versuchen, unsere Regierungen davon zu überzeugen, effektivere Maßnahmen zu ergreifen und in Infrastruktur zum Schutz der Küstenorte zu investieren. Wir können nicht länger darauf warten, dass wir Unterstützung von außen bekommen. In gewisser Weise sind wir auch müde, immer davon abhängig zu sein, ob uns Geber unterstützen werden. Was machen wir, wenn keine Hilfe von außen kommt?

Wären Ausgleichszahlungen für abnehmende Fangmengen eine Option für mehr Klimagerechtigkeit?

Wir sind in Afrika vom Klimawandel stark betroffen. Doch wenn man sich anschaut, wer den Klimawandel verursacht hat, dann ist der Anteil Afrikas daran sehr gering. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es nicht in dem Ausmaß wie bei Ihnen Schwerindustrien und industrielles Wachstum, die zur Umweltverschmutzung beitragen. Wir brauchen eine Art von Entschädigung, aber bevor wir über Entschädigung sprechen, sollten wir bestimmte Mechanismen in Angriff nehmen. Davon bin ich fest überzeugt. Ich meine, wir müssen auf dem afrikanischen Kontinent über neue Klagen und Beschwerde-Mechanismen nachdenken, sofern sie den Klimawandel betreffen. Wie ich schon gesagt habe, die Fischer und die Küstenorte sind erheblich von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen und die negativen Folgen für unsere Gesellschaften zeichnen sich seit Langem ab. Aber bis heute gibt es keinen Beschwerde-Mechanismus, der sich um ihre berechtigten Anliegen kümmert, weil diese Probleme nirgendwo dokumentiert und vorgebracht werden können. Wir müssen uns auf allen Ebenen – von der Gemeinde bis hin zu den Organisationen der Vereinten Nationen – ein genaues Bild von den verheerenden Folgen des Klimawandels auf den ganzen Fischerei-Sektor machen. Das hat für mich Priorität. Danach können wir über Entschädigungen sprechen.

Und ich möchte noch etwas ergänzen: Die ganze Welt befindet sich in einer Übergangsphase, aber das bedeutet noch lange keinen tief greifenden Wandel. Der Übergangsprozess ist psychologisch. Veränderung ist situationsbedingt.

Wie meinen Sie das?

Wir werden keinen wirklichen Wandel erleben, wenn wir nicht die Situationen vor Ort verändern. Ich unterscheide drei Phasen. In der ersten Phase geht alles seinen Weg wie schon immer. In der zweiten Phase sind wir mit Dingen konfrontiert, die wir noch nicht kennen, die neu für uns sind, die ungewiss sind. Erst die dritte Phase bedeutet einen Neubeginn.

Glauben Sie an einen Neubeginn?

Ja, wir erleben gerade einen Neubeginn in dem Sinne, dass wir nach dem richtigen Pfad für eine tief greifende Veränderung suchen. Wenn Sie die Stühle in Ihrem Zimmer verrücken, haben Sie die Anordnung verändert, aber das bedeutet noch keinen Neuanfang im eigentlichen Sinn, nicht wahr? In einem solchen Übergangszustand befinden sich gerade die Beratungen für eine Neuordnung des Fischerei-Sektors.

Herr Saine, Sie sind im Rahmen ihrer vielen Aufgaben als Generalsekretär von CAOPA auch dafür zuständig, die Aktivitäten Ihres Verbandes für die Jugend zu koordinieren und spezielle Programme für sie durchzuführen. Welches Ziel verfolgt CAOPA?

Es gibt das Mantra zu sagen, dass die heutige Jugend die zukünftigen Führungskräfte von morgen sind. Wenn man sich die handwerkliche Fischerei ganz allgemein ansieht, erkennt man auf den ersten Blick, dass hier ältere Menschen das Sagen haben, die bald in den Ruhestand gehen werden. Wenn sie in Rente gehen, wer übernimmt dann diesen Job? Werden die jungen Menschen Interesse daran haben, den traditionellen Beruf des Kleinfischers auszuüben? Vielleicht werden sie die Fischerboote ihrer Eltern und Großeltern übernehmen oder sie ausmustern. Eines ist gewiss: Die jungen handwerklichen Fischer werden den Kampf für die Nachhaltigkeit der Fischerei weiterführen und sogar verstärken müssen. Für mich ist das wichtigste Wort: Kapazität. Dass die jungen Leute über die Fähigkeiten und Instrumente verfügen, die sie brauchen, um das Geld für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien im Fischerei-Sektor verdienen zu können, das ist entscheidend. Wir müssen sie Sie dazu befähigen, Einfluss auf Entscheidungen der Politik auf nationaler und internationaler Ebene nehmen zu können. Bei der 9. Vollversammlung von CAOPA sind die Delegierten unserer Mitgliedsländer dem Antrag gefolgt, einen Jugendverband innerhalb unserer Organisation ins Leben zu rufen. Mit diesem Programm wollen wir dazu beitragen, die Migration junger Menschen nach Europa aufzuhalten und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie eine Zukunft in der Fischerei haben können. Das ist ein wichtiger Schritt für das Empowerment der nächsten Generation.

Und hier schließt sich der Kreis. Ihretwegen müssen wir alles tun, um die negativen Folgen des Klimawandels auf unsere Gesellschaften aufzuhalten.

Vertiefende Informationen hierzu in der Fair Oceans-Broschüre Die Ozeane in der Klimakrise-1