Die Blaue Wachstumsstrategie der Afrikanischen Union und die Sorgen der Kleinfischerei

Cornelia Wilß für Fair Oceans und Brot für die Welt, September 2020

Nationale Verbände der handwerklichen Fischerei in Afrika, die sich in dem Dachverband CAOPA (https://caopa.org/) organisieren, sind besorgt. Afrikanische Regierungen versuchen derzeit, ihre Wirtschaft nach der COVID-Pandemie wieder anzukurbeln. CAOPA warnt jedoch davor, in umweltverschmutzende Industrien zu investieren, um kurzfristig Gewinne zu erzielen. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung über die neue „Blue Economy“-Strategie der Afrikanischen Union (AU), die unterstützt wird von der Europäischen Union (EU): „Die Umsetzung dieser Strategie stellt eine grundlegende Bedrohung für die afrikanische handwerkliche Fischerei und die Millionen Menschen dar, die für ihren Lebensunterhalt und die Ernährungssicherheit auf sie angewiesen sind. Die Strategie bietet vor allem Anreize für industrielle Fischerei, die Ausbeutung fossiler Brennstoffe vor der Küste und den Tiefseebergbau, die dauerhafte Schäden an Meeresökosystemen und handwerklichen Fischereigemeinden an der Küste verursachen werden.“ So heißt es in einem Statement von CAOPA zum Konsultationsprozess zur Umsetzung der „Blue Economy“-Strategie in Afrika.

 

„Blue Economy“ – ein ehrgeiziges Projekt mit Zukunftsaussicht?

Im November 2018 waren Kenia, Kanada und Japan gemeinsame Gastgeber einer Konferenz über „Sustainable Blue Economy“ (http://www.blueeconomyconference.go.ke/) in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Gesponsert hatten das Großereignis UNO, Weltbank, Afrikanische Union (AU), Europäischen Union (EU) und elf weitere Länder. 20.000 Menschen waren zusammengekommen, darunter Staatsoberhäupter und hohe Beamte internationaler Organisationen, eine große Anzahl von Wirtschaftsführern und Organisationen der Zivilgesellschaft, um die Vision eines nachhaltigen „Blauen Wachstums“ zu entwerfen. Heraus kam ein Dokument, das Kritiker wie CAOPA als „inkohärent“ bezeichnen. Das Abschlussdokument repräsentiere die Gedanken einer kleinen Anzahl ausländischer Berater aus der EU und ausgewählter afrikanischer Akademiker und Bürokraten. In den 13 Ländern, die im Vorfeld von den Experten besucht worden waren, habe es scheinbar keine Konsultationen mit den Fischerei-Gemeinden gegeben, kaum ein Berufsverband der Fischerei habe das Dokument gesehen, bis es in Nairobi zur Genehmigung durch die Interessengruppen vorgestellt wurde und kurz danach veröffentlicht wurde.

In der „Blue Economy“-Strategie der Afrikanischen Union, die sich auf die wirtschaftliche Nutzung der Meere, Küstengebiete, Seen und Flüssen in Afrika fokussiert, werden drei ehrgeizige Ziele miteinander verknüpft: Ausschöpfung der Potenziale der verschiedenen „blauen“ Sektoren , um das Wachstum der afrikanischen Wirtschaft voranzutreiben; nachhaltige Bewirtschaftung der Meeresressourcen, um die Ökosysteme und die biologische Vielfalt zu schützen; nachhaltige, integrative Entwicklung, was bedeutet, die ärmsten Gruppen und Gemeinschaften in den afrikanischen Ländern zu unterstützen, damit sie aus der Armut befreit werden. Einleitend wird die Strategie als „Paradigmenwechsel“ beschrieben; eine Abkehr von „Business-as-usual“ und dass dieser Wandel dringend erforderlich sei, um „sozioökonomische Emanzipation und Industrialisierung in Afrika“ zu erreichen. Diese große Erzählung stützt sich auf frühere Aussagen der AU, dass die „Blue Economy“ das Potenzial hat, die neue „afrikanische Renaissance“ zu sein.  (http://www.blueeconomyconference.go.ke/wp-content/uploads/2018/12/SBEC-FINAL-REPORT-8-DECEMBER-2018-rev-2-1-2-PDF2-3-compressed.pdf)

In Zahlen liest sich das so: Die Afrikanische Union geht davon aus, dass sich das Gesamtvolumens der „Blue Economy“ aktuell auf 296 Milliarden US-Dollar beläuft und sie 49 Millionen Menschen eine Beschäftigung gibt. Schätzungen gehen zukünftig von hohen Wachstumsraten aus. So soll das Volumen der Blue Economy bis 2030 auf 405 Milliarden US-Dollar anwachsen; die Beschäftigungseffekte sollen bis zu 57 Millionen Arbeitsplätze schaffen. 2063 soll die „Blue Economy“ dann Umsätze in Höhe von 576 Milliarden US-Dollar erzeugen und 78 Millionen Arbeitsplätze bereitstellen. Als erfolgversprechende Wachstumssektoren werden dabei in erster Linie der Tourismus und die Offshore-Industrie, einschließlich der Offshore-Öl- und Gasförderung, angesehen. Enorme Gewinnerwartungen werden in den Tiefsee- und Meeresbodenbergbau gesetzt.

 

„Die AU, die diese Strategie entwickelt, und die Europäische Union und die norwegische Regierung, die sie unterstützen, müssen den gewählten Ansatz überdenken und ihm einen nachhaltigen und gerechten Rahmen geben, der den Menschenrechten und dem Lebensunterhalt  der Millionen von Menschen, die in handwerklichen Fischereigemeinschaften in Afrika leben und arbeiten, Priorität einräumen. Zu diesem Zweck sollten die freiwilligen Leitlinien für eine nachhaltige Fischerei und die Reformstrategie für Fischerei und Aquakultur in Afrika größeres Gewicht erhalten und die Entwicklung transparenter, partizipatorischer und geschlechtsspezifischer nationaler und regionaler Aktionspläne gefördert werden.“

CAOPA, September 2020

Was die Europäische Union damit zu tun hat

Dieses Versprechen von Wachstum und Entwicklung auf Basis des ökonomischen Potentials der Ozeane gleicht doch sehr den Argumentationen der EU, wie sie schon im sogenannten „Blauen Buchs“ zur integrierten Meerespolitik (2007)  und der Blue-Growth-Strategie (2012) nachzulesen sind. Die Hoffnungen, die hier geweckt werden, sind groß; ebenso wie die ökologischen und sozialen Gefahren, die eine fortschreitende Industrialisierung der Meere mit sich bringen. Die Sustainable-Blue-Economy- Konferenz in Kenia und zuvor auch die UN Ocean Konferenz (http://www.un.org/en/conferences/ocean2020) in New York 2017 haben gezeigt, wie sich diese Idee globalisiert hat.

Nach wie vor steht die Europäische Kommission bei der Förderung der Investitionen in die „Blue Economy“ mit an vorderster Stelle. Dabei konzentriert sich die Kommission auf fünf zentrale Sektoren: „Blaue Energie“, „Aquakultur“, „Küsten- und Seetourismus“, „Blaue Biotechnologie“ und „Mineralienabbau auf dem Meeresboden“. Andere Konzepte der „Blue Economy“ auf internationaler Ebene konzentrieren sich stärker auf den Klimawandel, den Verlust der Meeresökosysteme und die Armutsbekämpfung. Bisher setzt die Vision der EU-Strategen auf lukrative „Wachstumsindustrien“, was allerdings den Fischerei-Sektor nicht einschließt. Im Hinblick auf Ernährungssicherheit, so beklagen Kritiker der Koalition für faire Fischereiverträge (www.cffacape.org) in ihrem Papier Is the European Commission’s blue growth strategy a model for Africa?, steht die blaue Wachstumsstrategie nicht im Einklang mit den verschiedenen Richtlinien zur nachhaltigen Fischerei der Welternährungsorganisation (FAO). Die FAO hat eine eigene Blue-Growth-Strategy (http://www.fao.org/fisheries/blue-growth/en/), die der Fischerei eine zentrale Rolle zuweist.

Auch der EU-Fischereiausschuss hat die Entscheidung, die Fischerei bei der „Blue Economy“ auszuklammern, angefochten. In seiner Erklärung zur blauen Wachstumsstrategie argumentiert er, dass die Fischerei „im Hinblick auf die Versorgung mit Fisch und die Nahrungsmittelbilanz in der Europäischen Union sowie ihren beträchtlichen Beitrag zur sozio-ökonomischen von Entwicklung  von Lebensgemeinschaften“ einbezogen werden muss.

Im Fokus neuer nachhaltiger meerespolitischer Strategien müssten nach Meinung von CAOPA die international vereinbarten Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 sowie die Wahrung traditioneller Nutzungsrechte als auch Schritte zur Förderung der Kleinfischerei stehen. Für Frauen und Männer in der handwerklichen Fischerei in Afrika ist offensichtlich, dass das Modell vom blauen Wachstum ihre Lebensumstände momentan unzulänglich berücksichtigt.

Der Wert der „Blue Economy“ würde bislang nur durch herkömmliche Wirtschaftsindikatoren bemessen. Eine ebenso wichtige Rolle spielten aber Gesundheit, die Anerkennung der Arbeit der Frauen im Fischereisektor sowie soziale und kulturelle Dimensionen. CAOPA besteht deshalb auf der Implementierung der Richtlinien der FAO von 2014 zur Sicherung der Kleinfischerei, die „im Gegensatz zu den blauen Wachstumsstrategien, die in den letzten Jahren Verbreitung fanden, auf jahrelangen Konsultationen und Beratungen unter Fischern und Fischarbeitern beruhten“ und die in der Strategie der AU vernachlässigt werden.

Kritik von CAOPA in fünf Punkten

  1. Blaues Wachstum und der Wettbewerb um knappe Ressourcen

Das Wachstum der Blue-Economy-Sektoren, darunter Bergbau, Tourismus, Aquakultur, Schifffahrt und Meeresschutz hätten „allesamt komplexe Auswirkungen auf die Küstenentwicklung und das Leben ärmerer Gemeinschaften“, die häufig vertrieben würden oder um knappe Ressourcen konkurrieren müssen. Kleinfischergemeinschaften sei die „verwundbarste Gruppe in diesem Wettbewerbsumfeld“ und bestehen darauf, dass die Strategie der Afrikanischen Union die „unvermeidlichen Konflikte und Verwundbarkeiten“ berücksichtigen sollte, die der Ansatz des blauen Wachstums mit sich bringt.

  1. Schnelles wirtschaftliches Wachstum zerstört Meeresökosysteme

In der Strategie der blauen Wirtschaft wird die Bedeutung der Senkung der Kohlenstoffemissionen erwähnt, während gleichzeitig die Ausbeutung von Öl und Gas in Afrika vorangetrieben werden soll. Die CAOPA räumt ein, dass es sich um eine komplexe Diskussion handelt, ist aber der Ansicht, dass die Afrikanische Union vor der Frage „zurückschreckt“, „wie Afrika und die internationale Gemeinschaft einen Weg nach vorn aufzeigen können, der Armutsbekämpfung und steigenden Lebensstandard miteinander verbindet, ohne den Planeten zu zerstören“.

  1. Inklusive Entwicklung

Die Grundannahme der Strategie, dass das Wachstum der Blue-Economy-Sektoren automatisch positive Effekte für die Armutsbekämpfung zur Folge hat, ist trügerisch, da afrikanische „Volkswirtschaften, die stark auf Bergbau, kommerzieller Landwirtschaft und internationalem Tourismus basieren […] oft ein hohes Maß an Ungleichheit und Ausgrenzung produzieren“. Die blaue Wirtschaftspolitik konzentriert sich tatsächlich vor allem auf die Unternehmen und ausländischen Investoren. CAOPA beklagt, dass in der Strategie nicht erörtert wird, wie die Politik aussehen sollte, um eine gerechte Umverteilung des geschaffenen Reichtums zu gewährleisten.

  1. „Vermögensbasierter“ Ansatz für die Fischerei

Die Strategie empfiehlt die Einführung von „Nutzerrechten“, um den Zugang zu den Fischgründen zu beschränken. Dieser Ansatz geht damit einher, dass den Fischern individuelle Rechte eingeräumt werden, was bedeutet, dass diese verkauft und gehandelt werden können. Obwohl diese Politik vordergründig darauf abzielt das Problem der Überfischung zu lösen, droht sie in erster Linie eine Privatisierung der Fischressourcen nach sich zu ziehen von der letztlich Investoren mit dem notwendigen Kapital profitieren werden. Eine Dynamik, die „verheerende Auswirkungen“ auf die Küstengemeinden haben wird. CAOPA warnt davor, dass die Freisetzung einer großen Zahl von Fischern in Folge der Privatisierung der Fischgründe weitreichende gesamtgesellschaftliche Konsequenzen haben kann, wenn keine alternativen Existenzmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

  1. Herausforderungen der Regierungsführung

Die Strategie der AU räumt ein, dass es einige Herausforderungen für die Regierungsführung gibt, beschreibt sie aber nicht näher, obwohl  einige von großer Bedeutung sind: erstens die Herausforderung, marginalisierte Fischergemeinschaften zu stärken und die Transparenz in den meisten Entscheidungsprozessen zu erhöhen; und zweitens die Korruption und die Missbräuche von Unternehmen zu unterbinden. Da „das Vertrauen in afrikanische Regierungen bei der Korruptionsbekämpfung auf dem ganzen Kontinent nach wie vor sehr gering ist“, ist CAOPA der Ansicht, dass die Strategie eine Antikorruptionskomponente enthalten sollte.

Verwendete Dokumente

  1. https://static1.squarespace.com/static/5d402069d36563000151fa5b/t/5f6c572d2e37aa70f99e42ec/1600935729582/CAOPA+Communication++on+AU+Blue+economy+strategy.pdf
  2. https://www.cffacape.org/publications-blog/why-the-current-african-unions-blue-economy-strategy-threatens-small-scale-fisheries (Autorin : Joelle Philippe September 2020)
  3. REPORT ON THE GLOBAL SUSTAINABLE BLUE ECONOMY CONFERENCE26TH–28THNOVEMBER2018NAIROBI, KENYA: http://www.blueeconomyconference.go.ke/wp-content/uploads/2018/12/SBEC-FINAL-REPORT-8-
  4. Webseite der Sustainable Blue Economic Conference: http://www.blueeconomyconference.go.ke/
  5. Is the European Commission’s blue growth strategy a model for Africa? Considerations from small-scale fisheries (by Andre Standing January 2018): https://www.cffacape.org/publications-blog/2018/02/12/2018-2-12-is-the-eus-blue-growth-strategy-a-model-for-africa
  6. Away from Blue Growth and towards the Blue Commons? (Autor: Andre Staning, March 2019): http://cape-cffa.squarespace.com/en-blog/2019/3/4/from-blue-growth-to-blue-commons
  7. Blue Economy-Strategie der AU: https://www.au-ibar.org/strategy-documents
  8. Blue Economy-Strategie der EU: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_986