Ocean Grabbing

Politik und Industrie haben in den Industrieländern mit hohen Subventionen jahrelang den Aufbau industrieller Fangflotten gefördert. Das Ergebnis ist bekannt. Die Meere Europas und anderer Industrieländer sind überfischt. Deutschland landet nur noch etwa 13% des Fisches und der Meeresfrüchte, die hier verarbeitet werden, mit Fangschiffen unter eigener Flagge an. Auch Entwicklungsländer wie die Philippinen, Peru, Ghana, Marokko, Argentinien und die VR China haben zwischenzeitlich auf die industrielle Fischerei gesetzt. Eine Konsequenz der Überfischung und zunehmenden Verknappung der ergiebigen Fischbestände in den eigenen Gewässern war es, Fernfangflotten aufzubauen und für diese Lizenzen in fremden Gewässern zu erwerben, den Handel auszuweiten und vielfältige Methoden zu entwickeln, um irgendwie an den zunehmend kostspieligeren Fisch zu kommen.

Diese globale Umverteilung des Fisches gefährdet an vielen Küsten die Existenzgrundlagen der Menschen und verdrängt die traditionelle Kleinfischerei, insbesondere in den Entwicklungsländern. Da die Überfischung in allen Meeren zum Problem geworden ist, stehen industrielle und handwerkliche Fischerei heute überall in Konkurrenz um die letzten lukrativen Fischgründe. Spanische, koreanische, russische, chinesische, aber auch die verbliebenen deutschen oder holländischen „Monsterschiffe“ von an die 100 Meter Schiffslänge und mehr jagen auf den Weltmeeren den Fischschwärmen hinterher. Immer öfter stoßen die großen Schiffe dabei legal oder illegal in die Küstengewässer des globalen Südens vor und nehmen den Kleinfischern ihren Fang. Fabrikschiffe mit vollständigen Produktionsstrecken an Bord fangen, verarbeiten und frosten Fisch in Mengen für die ganze Flotten von Kleinfischern benötigt werden. Es mangelt der Kleinfischerei an ausreichenden Finanzmitteln, um im Bieterwettbewerb um Fanglizenzen oder bei der Modernisierung von Fanggeräten, -technik und -schiffen mithalten zu können.

Es sind aber nicht nur die großen Fischtrawler, die der Kleinfischerei die Ozeane und Meere streitig machen. Die Bebauung der Küsten durch Tourismuszentren, Hafenanlagen und  Siedlungen, die Errichtung von Offshore-Plattformen zur Öl-, Gas- und Windproduktion, Schifffahrtswege sowie der Abbau von mineralischen Ressourcen am Meeresboden, einschließlich der Planungen zum Tiefseebergbau, erheben konkurrierende Ansprüche auf die gleichen Küsten- und Meeresgebiete. In der 3,14 Millionen Quadratkilometer großen Wirtschaftszone Indiens sind allein 1,06 Mio. Quadratkilometer für die Erdöl- und Erdgasförderung vergeben. Entlang der Westküste Afrikas haben die Staaten ihre Wirtschaftszonen in eine Unzahl von einzelnen Claims aufgeteilt. Auch hier sind die Erdöl- und Erdgasindustrie die Hauptakteure. Die brasilianische „HRT Oil&Gas“ hält seit 2011 vor Namibia die Rechte für 12 Claims mit einer Fläche von insgesamt 68.800 Quadratkilometern. Die multinationale „Tullow Oil plc“ hat mit Mauretanien zwischen 2001 und 2012 9 Lizenzverträge für rund 42.000 Quadratkilometer abgeschlossen. Rund 1 Mrd. US-Dollar werden weltweit pro Tag in die Exploration und Förderung von Energieressourcen auf See gesteckt. Die maritime Raumplanung engt so die für die Kleinfischerei verbleibenden Fanggründe mehr und mehr ein.

Diese großflächige Übernahme von Meeresgebieten durch den Erwerb von Lizenzen durch die industrielle Fischerei und die sich kontinuierlich ausweitenden, mit der Fischerei konkurrierenden Nutzungsinteressen, stellen traditionelle Fangrechte von Küstengemeinden in Frage. Die Kleinfischerei wird mehr und mehr ihrer Fanggründe und Zugänge zum Meer enteignet. Zuvor gemeinschaftlich genutzte Meeresgebiete werden heute im Kontext der Strategien zum Blauen Wachstum privatisiert. In Anlehnung an den Begriff Land Grabbing hat 2012 Olivier De Schutter, der UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, für diese Entwicklung den Begriff Ocean Grabbing geprägt. Die Erschließung der Meere mit ihren Konflikten um Grenzen, Nutzungsrechte und Flächenansprüche gleicht in ihrem Charakter einer Landnahme. Das Meer wird längerfristig und im großen Stil in Besitz genommen. Olivier De Schutter stellte dazu fest: „‘Ocean-grabbing’ – in the shape of shady access agreements that harm small-scale fishers, unreported catch, incursions into protected waters, and the diversion of resources away from local populations – can be as serious a threat as ‘land-grabbing’“.