Naturkapital

Bei der Ausdehnung des Zugriffs auf die Ozeane und Meere sind aktuell zwei Themen beherrschend: zum einen eine Privatisierung von Zugangsrechten, die traditionelle Zugangsrechte zum Meer in Frage stellt und zum anderen die Finanzialisierung der Naturressourcen.

Beide Ansätze werden in den Debatten als Maßnahmen zum Meeresschutz und zur Effizienzsteigerung bei der Ressourcennutzung angepriesen. Finanzialisierung und letztlich auch die Privatisierung  der marinen Naturressourcen beruhen auf einem neuen Verständnis von Natur. Die Ozeane und ihre Lebewesen werden wie auch die Landökosysteme und deren Bewohner*innen zunehmend als Naturkapital aufgefasst. Dies dient dazu, sowohl den sogenannten Naturgütern,  z.B. dem Holz eines Baumes, wie auch den natürlichen Dienstleistungen  – wie die Sauerstoffproduktion eines Baumes, sein Schutz vor Erosion, seine Kohlenstoffspeicherung – einen finanziell darstellbaren Wert zuzuweisen.

Anfangs war dies gedacht, um die negativen Auswirkungen von Umweltschäden beziffern zu können und diese Schäden durch Entschädigungen auszugleichen. Heute bildet dieses Denken jedoch zunehmend die Grundlage dafür, allen Naturressourcen und -räumen einen Marktwert zu geben und wirklich alles Natürliche handelbar, veräußerbar zu machen. Damit dies geschehen kann, müssen die Naturressourcen zu einem Eigentum werden; einem Besitz, der gehandelt und verkauft werden kann.

Diese Finanzialisierung von Natur und die Bestimmung eines Naturkapitals machen die Meereswelt nicht nur zu einer Ware und damit zu einem Objekt. Das waren sie schon zuvor. Dadurch, dass diese Betrachtungsweise die Ökosysteme im Ganzen, alle ihre Funktionen und Elemente einschließt, werden Teile der Natur zu einer Ware, die es bisher nicht waren und das Zugangsrecht zu Naturräumen wird global zu einem Konfliktfeld. Traditionelle Nutzungsrechte und -formen von Küstenkommunen und indigenen Gemeinschaften werden infrage gestellt. Naturräume werden großflächig einer lokalen, gemeinschaftlichen Verwaltung entzogen und stattdessen privatisiert. Aus Gemeingütern wird Privateigentum. Der Zugang zu Naturräumen, Ökosystemdienstleistungen und Naturressourcen, die zuvor kostenlos waren, muss nun bezahlt werden. Es entstehen neue Unternehmen, die diesen neuen Markt für Naturkapital bewirtschaften und den Warenfluss der natürlichen Güter und Dienstleistungen kontrollieren. Die Ozeane und Meere erhalten ein Preisschild. Am stärksten betroffen von solchen Entwicklungen sind kapitalschwache Küstengemeinden in den Ländern des globalen Südens. Sie können ihre Fischgründe und Anlandestellen verlieren, den Zugang zum Meer. Den Gemeinschaften fehlt das Geld um Lizenzen zu erwerben, in der Konkurrenz mit Großunternehmen und ihren industriellen Vorhaben zu bestehen und darüber hinaus die Naturschätze zu bezahlen, zu denen sie zuvor einen ungehinderten, kostenlosen Zugang hatten. Ihre Existenzgrundlagen werden ihnen auf diese Weise genommen.

Letztlich sollen traditionelle Lebensweisen einem Modernisierungsprozess weichen, der hilft, die Meeresressourcen zukünftig effektiver zu verwalten, und der durch Investitionen zusätzliches Blaues Wachstum schafft. Die Verwaltung von Ressourcenvorkommen durch Privateigentümer gilt den Befürworter*innen der Idee vom Naturkapital als vorteilhafter, weil diese vorgeblich aus ihrem Eigeninteresse heraus ökonomisch und ökologisch sinnvoller mit den marinen Ressourcen haushalten. Die Aneignung der Meeresgebiete durch die Zahlung von Lizenzgebühren und die Investition in ihre Erschließung bedingt in diesem Denken ein nachhaltiges Interesse an einem verantwortlichen Umgang mit den Naturressourcen, damit eine langfristige ökonomische Nutzung gewährleistet ist. Tatsächlich ist dies weder gesellschaftlich noch ökonomisch betrachtet eine zwingende Logik. Investitionen müssen aus unternehmerischer Sicht in einem profitablen Verhältnis zum Gewinn und alternativen Anlagemöglichkeiten stehen. Sie müssen per se nicht langfristig, umweltfreundlich oder sozial sein.

Küstengemeinden im globalen Süden haben ein existenzielles Interesse an einer nachhaltigen Nutzung der marinen Ökosysteme und ihrer Bewahrung. Auch dies muss nicht zwangsläufig zu einer dauerhaft umweltschonenden Nutzung der Küstenökosysteme führen, die nicht reglementiert werden müsste. Aber dass Industrialisierung von Naturnutzung sowie die Enteignung von Gemeingütern derzeit zu einer Verschärfung von Umweltzerstörung und sozialen Verwerfungen führen, zeigt sich momentan weltweit. Sowohl die Finanzialisierung als auch die Privatisierung der Ozeane und Meere unterstützen diese Entwicklung.