AQUAKULTUR

WER ZAHLT DEN PREIS?

Seit den 1960er Jahren hat sich der weltweite Pro-Kopf-Verbrauch von Fisch nahezu verdoppelt. Längst sind Fisch und Meeresfrüchte zu einer wichtigen Eiweißquelle für die wachsende Weltbevölkerung geworden. Die Fischereiwirtschaft hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Verglichen mit der Fangfischerei spielte die Teichwirtschaft, wie sie jahrhundertelang von Menschen als traditionelle Kulturtechnik betrieben wurde, eine Nebenrolle. Das hat sich geändert: Die Branche Aquakultur ist seit den 1980er Jahren zu einer globalen Industriebranche aufgestiegen. Fast 46 Prozent der gesamten weltweiten Fischproduktion im Jahr 2018 stammten aus der Aquakultur, gegenüber 25,7 Prozent im Jahr 2000. Der Teilsektor ist auch ein wachsender Arbeitgeber auf der ganzen Welt. Er beschäftigt über ein Drittel aller weltweiten Arbeitskräfte in der Fischerei und Aquakultur – 35 Prozent im Jahr 2018, gegenüber 17 Prozent im Jahr 1990. Es wird erwartet, dass Aquakultur in naher Zukunft die Hälfte der weltweiten Fischproduktion ausmacht. Das Interesse der Anleger an der Aquakultur nimmt zu vielen Ländern, insbesondere in Asien. (FAO)

In rund 190 Ländern werden heute Fische, Krustentiere, Mollusken und Algen in Käfigen, Teichen oder schlicht im Freien, meist entlang der Küsten- und Binnengewässer oder auch auf überschwemmten Reisfeldern herangezogen. Aquakultur stellte in den vergangenen Jahrzehnten sogar den am schnellsten wachsenden Zweig der Ernährungswirtschaft dar. Sie wurde mitunter als „Blaue Revolution“ gepriesen, von der man sich versprach, den Druck, der durch die Fischerei auf den Ozeanen lastet, reduzieren zu können. Die Welternährungsorganisation (FAO) hat eine Blue Transformation Roadmap 2022-2030 mit ihren Zukunftsvisionen für die Aquakultur abgesteckt: ihr Ziel ist die „Intensivierung und Ausweitung einer nachhaltigen Aquakultur“, damit diese „weiterhin den weltweiten Bedarf an aquatischen Lebensmitteln decken kann“. Die Aquakulturwirtschaft sei insgesamt effizienter als landbasierte Tierproduktionssysteme und klimafreundlicher, weil ihre Produktionsweisen weniger Emissionen erzeuge. Ist Aquakultur die Alternative zum Fischfang? Ist künstliche Massentierhaltung für Massenkonsum die Lösung? Welche Gefahren lauern in der Fischfutterindustrie? Wer profitiert von der Aquakultur?

Seit einigen Jahren rücken nun auch die Schattenseiten des Wohlstandesversprechens, das sich mit der Branche verband, ins Licht der Öffentlichkeit. Der Preis für Mensch, Tier und Umwelt ist hoch, argumentieren Kritiker*innen. Die Errichtung von Aquakulturanlagen zerstöre vielerorts traditionelle Ökosysteme. In Kauf genommen würden versalzene Böden, vergiftete Gewässer durch den intensiven Einsatz beispielsweise von Antibiotika und die  Zerstörung von Küstenökosystemen wie Fjorde, Deltas, Flussmündungen, Sümpfe, Feuchtgebiete oder Mangroven.

Betroffene Gruppen im Globalen Süden prangern Menschenrechtsverstöße und Landkonflikte in vielen asiatischen Ländern an, ausgelöst nicht selten durch das rigorose Vorgehen von Investoren bei der Inbesitznahme von Land. Auch werden Arbeitsbedingungen als prekär kritisiert. Zur Diskussion stehen Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes, wobei die Arbeit von Frauen, die soziale Entwicklung und die Geschlechterverhältnisse stärker ins Blickfeld rücken.

Vertreter der handwerklichen Kleinfischerei wie der Berufsverband der handwerklichen Fischerei Caopa warnen davor, dass Aquakultur nicht nachhaltig ist und die Einkommens- und Ernährungssicherheit in vielen Küstenregionen gefährdet: Die Verarbeitung von Fangfisch aus afrikanischen Gewässern – darunter auch die so wichtigen kleinen und mittelgroßen pelagischen Arten – zu Fischmehl für Zuchtfische im globalen Norden stellt für sie einen Skandal dar.

 

Garnelen – Verlockungen des weißen Goldes

Die Weltbank, die Asiatische Entwicklungsbank und auch die FAO versprachen sich von der Garnelen-Industrie in den 1970er Jahren Arbeitsplätze, Deviseneinkünfte und ein Mittel zur Armutsbekämpfung. Zum Beispiel Bangladesch: Unterstützt von wechselnden Regierungen, die Garnelen als lukrative Exportmöglichkeiten ansahen, wurden ab den 1980er Jahren großflächig Reisfelder im Südwesten des Landes mit Brackwasser überflutet, um sie mit Black-Tiger-Garnelenbrut füllen zu können. Allein im Jahr 2020 exportierte das Land 30.000 Tonnen Garnelen – das weiße Gold – im Wert von fast 350 Millionen US-Dollar. Fachleute gehen davon aus, dass der Löwenanteil der Einnahmen von Zwischenhändlern aus der Industrie und wohlhabenden Landbesitzern mit Beziehungen zur Politik erbeutet wurde. Ähnliche Erfahrungen haben auch andere Länder gemacht. Eine kleine Anzahl von Investoren ist reich geworden ist; die lokalen Produzenten, die sich auf das neue Geschäftsmodell eingelassen hatten, konnten meist nur kurzfristig vom Boom profitieren.

Es ist ein komplexes Geflecht sich gegenseitig bedingender Faktoren, welches die Garnelenzucht seit ihren Anfängen in Ländern wie Indonesien, Vietnam, Indien u. a.  belastet. Zum Beispiel Wasserkonflikte: Die Anlagen müssen regelmäßig mit Wasser, das aus den umliegenden Flüssen oder anderen Gewässern gepumpt wird und eigentlich der Wasserversorgung der lokalen Bevölkerungen vorbehalten sein sollte, versorgt werden; zum anderen wird Abwasser aus den Teichanlagen in Kanäle, Flüsse und küstennahe Gewässer geleitet. Dieser Kreislauf trägt erheblich zur Verschmutzung des Grundwassers und der Flüsse durch das Einleiten von Schadstoffen (Pestizide, Antibiotika und Desinfektionsmittel) bei. Das Überfluten landwirtschaftlich genutzter Flächen – oft an unverantwortlichen Standorten an der Küstenlinie und bei schlechter Bewirtschaftung – macht zudem das Wasser für Pflanzen, Tier und Mensch ungenießbar, weil die Salze das Grundwasser belasten.

Ob durch die Versalzung ihrer Böden gezwungen oder von ihren Regierungen gefördert (in einigen Fällen durch Steuererleichterungen und günstige Kredite) – viele Landwirte in Bangladesch und in anderen asiatischen Staaten gaben den Ackerbau auf und züchten auf ihrem Feld Garnelen. Doch was als Wohlstandsalternative begann, endete oft im Unglück. Viele mussten aufgeben; schlechtes Management, der Ausbruch bakterieller Epidemien, teure Chemikalien, fehlende finanzielle und technische Unterstützung trugen zum Scheitern vieler kleinerer Garnelenfarmen bei.

Schwer wiegt auch die rücksichtslose Abholzung der Mangroven. Shrimp-Farmen werden oft in Gebieten mit Mangrovenwäldern angelegt, die von lokalen Gemeinschaften als Reservoir für Nahrung, Brennstoff, Baumaterial und Medizin genutzt werden. Greenpeace machte bereits im Jahr 2003 den Ausbau der Aquakultur vor allem in den Philippinen, Vietnam, Thailand, Bangladesch und Ecuador für die Zerstörung von Tausenden Hektar Mangrovenwald verantwortlich.

Die Garnelenzucht hat das Versprechen, mehr und gesunde Nahrung für die lokale Bevölkerung zu bieten, nicht eingelöst. Stattdessen ist die Industrie fast ausschließlich auf den Export ausgerichtet und verringert durch die Übernahme landwirtschaftlicher Flächen die Ernteerträge der traditionellen lokalen Gemeinschaften für den Eigenbedarf oder den lokalen Handel. Die Versuche, gegen die Zerstörung von traditionell genutzten Flächen zu protestieren, beschworen häufig Konflikte zwischen den Betreibern kommerzieller Garnelenfarmen und den lokalen Gemeinschaften herauf. Zum Beispiel Indonesien: Seit 2017 breiteten sich innerhalb des Karimunjawa-Nationalparks illegale Garnelenfarmen aus. Was als kleines Projekt begann, hatte sich bald auf 33 Garnelenfarmen mit 238 Teichen (Stand: März 2023) ausgeweitet, ohne Rücksicht auf die ökologischen und ökonomischen Folgen und deren Auswirkungen auf die umliegenden Gemeinschaften. Die Aktivist*innengruppe #SAVEKARIMUNJAWA – darunter Frauen und Männer aus der Kleinfischerei, dem Seegrasanbau und der Tourismusbranche – fordert daher einen sofortigen Stopp für die Garnelenfarmen und sucht nach nachhaltigeren Alternativen.

Hipp und gesund – aber für wen?

Zum großen Teil gewinnt die Fischmehlindustrie ihre Produkte aus den riesigen Schwärmen an Sardellen und Makrelen im Ostpazifik vor Südamerika. Chile und Peru sind im Zuge dessen zu globalen Zentren der Produktion geworden.

Zunehmend werden Fischmehl und Fischöl (FMFO) auch aus pelagischen Schwarmfischen vor der westafrikanischen Küste hergestellt und von dort zum größten Teil exportiert – zur Aufzucht von Lachs, Forelle, Wels und Garnele in der Aquakultur und zur Verwendung in der Tiermast und Kosmetik. Zum Nachteil der westafrikanischen Kleinfischer, deren Netze immer öfter leer bleiben. Dafür ist auch die illegale Fischerei verantwortlich, die nur schwer zu kontrollieren ist. Das steht auf einem anderen Blatt.  Organisationen der Zivilgesellschaft, lokale Fischereigemeinschaften, Wissenschaftler und internationale Nichtregierungsorganisationen warnen seit mehr als einem Jahrzehnt vor dem Rückgang pelagischer Arten in Westafrika. Fische der Gattung Sardinella und andere pelagische Arten sind ein Grundnahrungsmittel in der Region, das von handwerklich arbeitenden Fischern gefangen und von Frauen im lokalen Fischereisektor verarbeitet und vermarktet wird. „Es mache vom Grundsatz her keinen Sinn, 25 Kilogramm frischen Fangfisch in fünf Kilogramm Fischmehl zu verwandeln, um umgerechnet ein Kilogramm Lachs in Norwegen, Schottland oder China zu füttern.“ Gaoussou Gueye, amtierender Präsident von CAOPA, beklagt öffentlich das damit verbundene Maß an Intransparenz. Niemand wisse genau, was die Fischmehlfirmen, die überall an der westafrikanischen Küste aus dem Boden schießen, in der Praxis machen, wie viel frischen Fangfisch sie verbrauchen, an wen sie das Mehl und Öl verkaufen, wieviel Arbeitsplätze sie schaffen und wie groß das Problem der Korruption wirklich ist.

Wie wollen wir über die Nachhaltigkeit und den Schutz der Ozeane miteinander reden, über das nachhaltige Management der Ressource Fisch, wenn wir anderen erlauben, auf die Ressource zuzugreifen und sie zu überfischen, die für große Teile unserer Bevölkerung lebensnotwendig ist? Wie sollen wir die Menschen hier in Westafrika zukünftig besser ernähren, wenn ihr uns die Grundlage für euren Fischkonsum im Norden nehmt?“ Darüber solle die internationale Gemeinschaft nachdenken und endlich handeln, sagte er bei der UN-Oceans Conference in Lissabon (Juni 2022).

Eine FAO-Studie über die soziökonomischen und biologischen Auswirkungen der fischbasierten Futtermittelindustrie im subsaharischen Afrika kommt zu dem Ergebnis, dass fischbasierte Futtermittel hauptsächlich exportiert werden und den Regierungen und den Fischarbeitern in der gesamten Wertschöpfungskette wirtschaftliche Vorteile bieten. Zugleich deuten die empirisch ermittelten Ergebnisse darauf hin, dass die Industrie eine Bedrohung für den Lebensunterhalt und die Ernährungssicherheit der lokalen Gemeinschaften darstellen wird, wenn die Produktion von Fischmehl weiterhin zunimmt und die Fangmengen an Schwarmfischen deshalb in den westafrikanischen Ländern zurückgehen, insbesondere gilt dies in Mauretanien, Senegal und Gambia. Nehmen wir das Beispiel Senegal, wo die Pro-Kopf-Verfügbarkeit kleiner pelagischer Arten von 16 kg/Jahr im Jahr 2009 (wobei 217.000 Tonnen kleine pelagische Arten auf den Markt gebracht wurden) auf 9 kg pro Jahr im Jahr 2018 (wobei 139.000 Tonnen auf den Markt gebracht wurden) zurückgegangen ist. Besonders paradox ist, dass Fischmehl, das nach China exportiert wird, dort unter anderem in der Aufzucht von Tilapias eingesetzt wird, die schließlich wiederum von afrikanischen Ländern importiert werden. Der Barsch wird auf den Märkten dort billiger verkauft als der lokal gezüchtete Tilapia. In Cote d‘Ivoire kostet zum Beispiel ein Kilo vor Ort gezüchteter Tilapia 3000 CFA-Francs, während ein Kilo Tilapia „made in China“ nur 1200 CFA pro Kilo kostet, beklagen die Frauen. Am Ende verlieren die heimischen Züchter*innen und die Frauen in den Küstengemeinden der betroffenen Länder, die den Fisch verarbeiten und anbieten, weil der nun in der Fischmehlproduktion landet.

Nach Ansicht von CAOPA sind Investitionen in den Fischfang und die Vermarktung der preisgünstigem pelagischen Schwarmfische für den direkten menschlichen Verzehr erforderlich. Derzeit erlauben die betroffenen Länder offiziell für Fischmehl-/Fischölfabriken nur die Verwendung von Fisch, der nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist. Es mangelt jedoch an Investitionen in die Infrastruktur zur Konservierung und handwerklichen Verarbeitung sowie in Transportmittel für verarbeitete und unverarbeitete Produkte in der gesamten Region. Dadurch landen viele der pelagischen Schwarmfische, die bei richtiger Konservierung, Verarbeitung und Transport von der lokalen Bevölkerung verzehrt werden könnten, als Abfall in Fischmehlfabriken. Letztlich können nur solche Investitionen sicherstellen, dass der Beitrag kleiner pelagischer Arten als Grundnahrungsmittel zur Ernährungssicherheit in der Region gesichert wird. Unter einer Bedingung: „Die pelagischen Arten müssen für den menschlichen Verzehr, nicht für Fischmehl, handwerklichen Fischern vorbehalten bleiben.“ (Gaoussou Gueye)

Ein Blick nach Gambia

Ein Blick nach Gambia, dem kleinsten Land des afrikanischen Festlandes, lohnt sich. Die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze – und Fisch, vor allem Bonga, deckt die Hälfte des Bedarfs an tierischem Eiweiß. Doch der wird knapp und teuer; die lokale Wertschöpfungskette ist gestört. Täglich verlassen Schiffscontainer die Küste in Richtung China und Norwegen, Türkei und Frankreich. Die Container sind schwer beladen mit Fischmehl aus drei Fabriken der im Süden am Atlantik gelegenen Gunjur, Sanyang und Kartong, wo die handwerkliche Fischerei eine lange Tradition hat, heute aber Fischmehl und Fischöl im großen Stil für den Export produziert wird.

Die Fischmehl-Fischölindustrie begann in den frühen 2000er Jahren als Verwertung von Verarbeitungsabfällen wie Schuppen und Köpfe, die zerkleinert und mit anderen lokalen Zutaten vermischt wurden und dem Futtermittel für die Aufzucht von Hühnern beigemischt wurden. In jüngerer Zeit hat sich daraus ein technisch entwickelter Industriezweig herausgebildet, der mit der Niederlassung der chinesischen Unternehmen in Gambia im Jahr 2016 Gestalt annahm und heute globale Lieferketten bedient. Der von den Fischmehl- und Fischölfabriken verwendete Fisch wird von der handwerklichen Fischereiflotte als Rohmaterial geliefert. Untersuchungen der Arbeitsgruppe des Fischereiausschusses für den östlichen Mittelatlantik (CECAF) aus dem Jahr 2020 zeigen, dass die Futtermittelindustrie zu einem Anstieg des Fischereiaufwands geführt hat – mit erheblichen Nebenwirkungen: Die gambischen Gewässer sind überfischt; die Gesamtfangmenge war im Jahr 2019 im Vergleich zu 2017 mit nur 26 213 Tonnen sehr niedrig.

Der Anteil der Menschen, die als ernährungsunsicher gelten, ist in Gambia in den letzten fünf Jahren von fünf auf acht Prozent gestiegen, was zum Teil auf die schwankende Verfügbarkeit von erschwinglichem Bonga-Fisch zurückzuführen ist. Die Industrie hat die lokale Verarbeitung und Vermarktung erheblich erschwert, insbesondere indem sie den Fischverarbeiterinnen den frischen Fangfisch weitgehend vorenthält. So ist beispielsweise Bonga-Fisch, der hauptsächlich von Frauen verwendet wird, die den Fisch durch Räuchern haltbar machen, deutlich teurer geworden. Sein Preis ist seit Beginn der Industrie im Jahr 2017 von etwa 500 GMD (10 USD) für eine Pfanne von 30 kg auf etwa 2 000 GMD (40 USD) im Jahr 2020 gestiegen.

Aus Interviews, die für die oben erwähnte Stude geführt wurden, geht hervor, dass die Fabriken zwar einheimische Arbeitskräfte in niedrigeren Positionen beschäftigen, die qualifizierten Mitarbeiter entlang der Wertschöpfungskette jedoch in der Regel Ausländer sind. So wird beispielsweise frischer Fisch als Rohstoff hauptsächlich von senegalesischen Fischern vor Ort geliefert, während das technische Personal in den Fabriken in der Regel chinesische Staatsangehörige sind.

Toter Beifang, der an Land gespült wurde, in Gunjur, Gambia. Foto: Dawda F. Saine

Die gambische Regierung hat die Fabriken zwar genehmigt, doch die Anlagen werden nicht ausreichend von der Regierung überwacht und Klagen vor Gericht seien gescheitert, sagen Fachleute aus der Region. Niemand weiß, wie viel frischen Fisch sie tatsächlich verbrauchen, an wen sie das Mehl und Öl verkaufen und wie viele Arbeitsplätze sie geschaffen haben und wie groß das Problem der Korruption ist. Abgesehen davon, dass sie nichts gegen die schlechten hygienischen Verhältnisse und Arbeitsbedingungen an den Anlandestellen unternehmen sowie schädliche Abwässer in das Meer einleiten.

CAOPA lässt auch das Argument nicht gelten, dass die Fischmehlfabriken Arbeitsplätze für Gambier schüfen. Es existiere keinerlei Transparent hinsichtlich der von der gambischen Regierung festgelegten Beschäftigungsstandards (Gehälter, Arbeitsverträge, Krankenversicherung, Sozialleistungen usw.). Beunruhigend sei zudem die Praxis illegaler Fang- bzw. Arbeitsverträge. So würden Fischmehlbetreiber in den benachbarten Senegal gehen, dort Fischer anheuern, um in gambischen Gewässern für den Bedarf der großen Fabriken zu fangen, insbesondere in Sanyang und Gunjur. Vertreter der Fabriken finanzierten den Fischfang vor, indem sie Pirogen von bis zu 30 Metern Länge mit Außenbordmotoren, Netzen und Treibstoff kauften. Dies, so sagt Dawda F. Saine (Generalsekretär von CAOPA), der sich seit Jahren mit diesen Problemen beschäftigt, sei illegal, da ein ordnungsgemäßer Verfahrensweg nicht eingehalten werden würde. Um effektiv etwas zu ändern, sei es notwendig, nationale Rechtsinstrumente im Sinne der FAO-Richtlinien zum Schutz der Kleinfischerei zu entwickeln und deren konsequente Umsetzung von der Regierung einzufordern.

Für die Vertreter*innen der afrikanischen Kleinfischerei liegt es auf der Hand: Der Fang der pelagischen Arten muss der handwerklichen Fischerei vorbehalten sein, die jahrhundertelang die Menschen an der Küste ernährt hat. Der Missbrauch dieser Arten für das Big Business der Futtermittelindustrie muss sofort und vollständig verboten werden. Angesichts der Schwierigkeit, die ausländischen Fabriken an der westafrikanischen Küste zu kontrollieren, muss ihnen der Zugang zu den Fischgründen zukünftig verweigert werden.

Solange die Geschäfte mit dem Fischmehl und dem Fischöl so verantwortungslos weiter betrieben werden, ist es aus Sicht von COAPA „undenkbar, Produkte mit Fischmehl und Fischöl aus überfischten Regionen vor der Küste Afrikas mit einem Umweltzeichen zu versehen, welches das Gewissen der Verbraucher im Norden beruhigt“ (Dawda F. Saine). Grundsätzlich gilt es. Lieferketten so auszugestalten, dass die Rechte von Produzent*innen stärker geschützt werden.

Was ist zu tun?

In einem kürzlich veröffentlichten Brief an zwei Komissar*innen der EU fordern Verbände der afrikanischen Kleinfischerei und Nichtregierungsorganisationen die Europäische Union auf, die Einfuhr von Fischmehl und Fischöl aus Regionen, in denen die Ernährung der Bevölkerung gefährdet ist und die Fischbestände nachweislich überfischt sind, strikt einzuschränken. Die Europäische Union sollte außerdem ihre Unternehmen, die Fischöl und Fischmehl importieren, dazu drängen, vollständige Transparenz über die Herkunft der Rohstoffe herzustellen und von ihnen verlangen, dass sie dafür eine sorgfältige Überprüfung ihrer Lieferkette durchführen. Schließlich sollte die EU prüfen, ob sie die Einfuhr von Aquakulturerzeugnissen beschränken kann, die mit Fischfutter aus Regionen gefüttert werden, in denen es zu kritischen Auswirkungen kommt. Die Unterzeichner dieses Briefes betonen, dass die EU nicht weiterhin Fischerei- und Aquakulturprodukte importieren kann, die den von ihr selbst vertretenen Prinzipien der Nachhaltigkeit zuwiderlaufen.

Um genauer zu definieren, was nachhaltige Aquakultur in der Praxis bedeutet, werden derzeit FAO-Richtlinien für nachhaltige Aquakultur (GSA) entwickelt. Sie sollen die rechtlichen, politischen und technischen Rahmenbedingungen schaffen, die für ein nachhaltiges Wachstum und entsprechende Innovationen erforderlich sind. Doch das allein wird die beschriebene Schieflage nicht aus der Welt schaffen. Neben den Umweltbelangen geht es um die soziale und menschenrechtliche Dimension. Das Recht auf Nahrung und die Einhaltung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Menschenrechte sowie die Verpflichtungen zur Umsetzung des FAO-Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Fischerei müssen die Maßgaben bei der Ausgestaltung einer nachhaltigen Aquakultur sein. Akteure in den Regierungen, in internationalen Organisationen wie FAO und Weltbank, in Nichtregierungsorganisationen wie auch in der Wertschöpfungskette selbst müssen Konzepte entwickeln und verbindliche Maßnahmen ergreifen, damit die Rechte von Produzent*innen stärker geschützt werden.

Unsere Nachfrage nach Lebensmitteln aus aquatischer Produktion muss der Einsicht folgen, dass wir Verantwortung haben: dafür welche und wie viel Fischereiprodukte wir konsumieren. Die verschiedenen Label für Produkte aus der Fischerei und Aquakultur sind weder durchweg transparent noch vollständig nachhaltig. Deswegen sollten Verbraucher*innen auf eine verstärkte staatliche Überwachung sozialer und ökologischer Mindeststandards zum Schutz der Produzent*innen in der Fischereiwirtschaft drängen, im Sinne des Lieferkettengesetzes, das zugleich menschenrechtliche und ökologische Standards verfolgt. Ein anderer sinnvoller Weg wäre es, Grundsätze aus der Agrarökologie auf die Aquakultur zu übertragen und eine kleinteilige, nicht auf industrielle Massenproduktion ausgerichtete Teichwirtschaft zu fördern, verbunden mit der Wiederentdeckung und Wertschätzung regionaler, saisonaler Fischarten wie Karpfen und Forellen.

Autorin: Cornelia Wilß, Februar 2024