Das Geschäft mit dem Fischmehl in Westafrika boomt – das Nachsehen hat die traditionelle Kleinfischerei

Cornelia Wilß für Fair Oceans und Brot für die Welt im März 2021

Fischmehl und -öl, hergestellt meist aus kleinen Schwarmfischen, vor der westafrikanischen Küste insbesondere Sardinella aurita (Goldsardine), Sardinella maderensis (Sardinella) und Ethmalosa fimbriata (Bonga), sind industriell gewonnene Produkte. In Fabriken werden diese Konzentrate aus eigens für die Verarbeitung gefangenen Fischen, Beifängen oder aus Resten aus der Fischverarbeitung durch Zerkleinerung und Trocknung hergestellt. Sowohl Fischöl als auch Fischmehl [FMFO] werden zur Aufzucht von Lachs, Forelle, Wels und Garnele in der Mari- und Aquakultur sowie in der Tiermast verwendet. Die stetig steigende Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten auf den globalen Märkten – vor allem in China – hat in den letzten Jahren die FMFO-Produktion in Westafrika beflügelt. Neue Fischmehlfabriken wurden an verschiedenen Standorten errichtet. Nach Angaben von UN Comtrade produzierte Westafrika im Jahr 2016 bereits sieben Prozent des weltweiten Fischmehls. In einigen Ländern ist die Produktion besonders stark angestiegen; zum Beispiel wird mittlerweile die Hälfte des Fischfangs in Mauretanien zur Herstellung von Fischmehl verwendet. Doch Produktion und Verfütterung von Fischmehl bleiben nicht ohne Folgen: Untersuchungen zeigen, dass Fischmehl ein Faktor ist, der die Überfischung und die illegale Fischerei vorantreibt. Verstärkt unter Druck geraten gerade die kleinen Schwarmfische, die an der Basis der Nahrungsnetze eine ökologisch bedeutende Funktion als Futterfische haben und unverarbeitet eine günstige Nahrungsquelle für die lokale Bevölkerung sind. Das wirtschaftliche und soziale Leben verändert sich mit der Fischmehlproduktion in den Gemeinden, die traditionellerweise vom Fischfang leben, auf dramatische Weise. Die gesamte regionale Fischereiwirtschaft, einschließlich Verarbeitung und Handel, sind davon betroffen. Und das in einer Zeit, in der die Kleinfischerei durch die Auswirkungen des Klimawandels, die Verschmutzung der Meere und schrumpfende Fischbestände schon jetzt an den Rand gedrängt wird.

Für Dawda F. Saine von der gambischen National Association of Artisanal Fisheries Operators (NAAFO), der als Generalsekretär auch CAOPA, die African Confederation of Artisanal Professional Fishing Organisations, vertritt, sind die „Fischereigemeinden in seinem Land die ersten Opfer der Aktivitäten von Fischmehlfabriken, die in ganz Westafrika wie Pilze aus dem Boden schießen. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern von CAOPA fordern die lokalen Fischer die schrittweise Schließung dieser Anlagen“, sagt Saine. Der Meeresbiologe hat für Fair Oceans die Auswirkungen der Fischmehlproduktion in seinem Land, Gambia, näher untersucht. Hier eine Zusammenfassung seines Berichts.

Soziale und kulturelle Brüche

Die handwerkliche Fischerei ist in Westafrika keinesfalls eine Domäne der Männer. Schätzungsweise 60 Prozent aller im handwerklichen Fischereisektor Westafrikas Arbeitenden sind Frauen. In Gambia und in anderen Ländern haben sie das Sagen. Meist sind Frauen mit der Verarbeitung (Räuchern und Trocknen) und Vermarktung des Frischfischs beschäftigt. Die wichtigsten Fische sind hier die Sardinella und Bonga, Wels und andere hochwertige Meereslebewesen wie Garnele. Die meisten dieser Arten sind leicht zugänglich, erschwinglich und verfügbar und werden von den meisten Gambiern bevorzugt gegessen.

Viele Jahre lang standen die meisten Frauen täglich schon um 4:00 Uhr morgens auf und fuhren zu den Anlandestellen der Fischerboote. Sie halfen beim Entladen des Fangs, wenn die Pirogen anlandeten und kauften den Fischern, die oft tagelang unterwegs waren, den Fang ab. Jetzt wandert der Fischfang zu einem großen Teil in die Fabriken und wird zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet. In Zahlen ausgedrückt: Fünf Kilo Fisch werden für ein Kilo Fischmehl verarbeitet und ins Ausland exportiert.

In vielen Gemeinden ist es Tradition, dass die Frauen die Treibstoff, Lebensmittel, Fischernetze für die Ausfahrten der Fischer vorfinanzieren. Seit einer Weile tragen die Frauen indirekt auch zum Erhalt der Fischbestände bei, weil sie sich weigern, den Fischern die Jungfische, die ins Netz gegangen sind, abzukaufen. Viele Frauen engagieren sich in Kooperativen und in Mikrofinanzierungsprogrammen, indem sie für diese wöchentlich einen Beitrag abführen, der der Stärkung der lokalen Ökonomie zugutekommt. Als Mütter sind sie zudem in ihren Familien verantwortlich für die Erziehung, Ernährung und medizinische Versorgung.

All das wird jetzt anders. Wenn der lokale Fischmarkt zusammenbricht, verlieren die Fischarbeiterinnen ihr Einkommen, und die lokale Ernährungslage wird prekär für die eigene Familie, aber auch für die Menschen, die sich an den Küsten wie auch im Hinterland von dem proteinhaltigen Fisch ernähren. Die Ausbreitung der Fabriken verändert die gemeinschaftliche Kultur und Ökonomie der Kleinfischerei, die den Familien seit Jahrhunderten ein relativ sicheres Überleben garantierte.

Die Frauen sind gezwungen, sich den Fisch an anderen Anlandestellen zu besorgen. Aufgrund der Konkurrenz zwischen den Aufkäufern für die Fischmehlfabriken und den Frauen steigen zudem die Preise für den Fang. Es wird immer schwieriger für die Frauen, den Fisch zu erwerben und auf den Tagesmärkten zu verkaufen. Dadurch geht die Menge an Fisch für den täglichen Bedarf zurück, und die Einkommen sinken. Viele Frauen sind dann kaum mehr in der Lage, das Schulgeld für die Kinder, die Ernährung und die medizinische Versorgung aufzubringen.

Eine von Dawda F. Saine befragte pelagische Fischverarbeiterin sagte: „Jetzt kann ich nicht einmal mehr meinen Nachbarn Fisch umsonst abgeben, so wie ich es früher getan habe, wegen der hohen Kosten für Fisch und dem Problem, dass ich an immer weniger Fisch herankomme“.

Eine andere Frau bemerkte, dass „sogar die Menge an Sardinella und Bonga, die ich früher zum Mittagessen in meinem Haus zubereitet habe, drastisch zurückgegangen ist, wegen Überfischung, schlechter Qualität und Anlandung von Jungfischen, die von den Fischmehlfabriken verbraucht werden“. Sie fügte weiter hinzu, dass selbst ihre Katzen zu Hause heutzutage keine Fischreste mehr bekommen würde.

Außerdem haben die Frauen Angst vor gesundheitlichen Problemen. Der üble Gestank und der Rauch, den die Fischmehlfabriken ausstoßen, wirken sich auf die Atemwege der Frauen aus, die täglich 18 Stunden damit verbringen, ganz in der Nähe der neuen Fabriken, ihren Fisch für die Vermarktung am nächsten Tag zu verarbeiten und dies ohnehin unter schwierigen hygienischen Bedingungen tun müssen.

 

Mangelnde Kontrolle

In den letzten fünf Jahren haben sich in Gambia drei Fischmehlfabriken in den im Süden gelegenen Orten Gunjur, Sanyang und Kartong angesiedelt, errichtet in der Nachbarschaft wichtiger Anlandestellen der traditionellen Fischerei. Die Fabriken in Gunjur und in Sanjang sind in chinesischem Besitz, die Fabrik in Kartong soll das Partnerunternehmen von mauretanischen und chinesischen Geschäftsleuten sein.

Eine Untersuchung der Auswirkungen der Fischmehlproduktion in Gambia seitens der Changing Markets Foundation ergab, dass die verarbeitete Menge an Fisch von nur einer der FMFO-Anlagen des Landes etwa 40 Prozent der gesamten gemeldeten Fischfänge des Landes im Jahr 2016 entsprach. Mindestens eine der Fabriken verkauft den größten Teil ihres Fischmehls nach Vietnam; dort wird es auf dem Schwarzmarkt für den Reexport nach China, dem weltweit größten Hersteller von Fischfutter, umetikettiert. Auf diese Weise werden die strengeren chinesischen Lebensmittelsicherheitskontrollen umgangen. Zudem wird so geschickt die Tatsache umgegangen, dass es bislang kein effektives Fischmehl-Exportabkommen zwischen Gambia und China gibt.

Die Menschen in Gambia, wo das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2018 nur 1.700 US-Dollar pro Kopf betrug, sind auf Fisch als Grundnahrungsmittel angewiesen. Zwar hat die gambische Regierung die Fabriken genehmigt, doch CAOPA kritisiert die mangelnde Überwachung der Anlagen. Die Fabriken seien nicht willens oder in der Lage, die Menge des verarbeiteten Fisches, den üblen Gestank und die Rauchentwicklung an den Anlandestellen sowie die schädlichen Abwasser, die sie in die Meeresgewässer einleiten, zu regulieren. Auch die aufstrebende Öko-Tourismusbranche zeige sich beunruhigt. Tourismus ist in Gambia ein wichtiger Arbeitsgeber und Devisenbeschaffer. Die Branche fürchtet, dass europäische Gäste ausbleiben, wenn die weißen Strände durch tote Fische, Gestank und Rauch, die bei der FMFO-Produktion entstehen, verschmutzt werden würden.

CAOPA lässt auch das Argument nicht gelten, dass die Fischmehlfabriken auf Dauer Arbeitsplätze für Gambier schaffen könnten. Unter anderem weil Daten und Informationen über die Beschäftigung gemäß den von der gambischen Regierung festgelegten Beschäftigungsstandards (Gehälter, Arbeitsverträge, Krankenversicherung, Sozialleistungen usw.) bislang nicht vorgelegt wurden.

Zutiefst beunruhigend sei zudem die Praxis illegaler Fang- bzw. Arbeitsverträge. So würden Fischmehlbetreiber in den benachbarten Senegal gehen, dort Fischer anheuern, um in gambischen Gewässern für den Bedarf der großen Fabriken zu fangen, insbesondere in Sanyang und Gunjur. Vertreter der Fabriken finanzierten den Fischfang vor, indem sie Pirogen von bis zu 30 Metern Länge mit Außenbordmotoren, Netzen und Treibstoff kauften. In Sanyang würden den Vertragsfischern darüber hinaus Wohnungen auf dem Gelände der Fischmehlfabrik zur Verfügung gestellt. Dies, so Saine, sei illegal, da ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht eingehalten werden würde.

 

Herausforderungen und Lösungen

Der Fischereisektor in Westafrika trägt für CAOPA zu einer erschwinglichen Nahrungsversorgung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zu Deviseneinnahmen und zur bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit bei. Seine große Bedeutung gerade für das Leben und Auskommen der Küstengemeinden wird jedoch durch die Zerstörung von Lebensräumen, die Verschmutzung durch Industrie und Privathaushalte, illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei sowie Überfischung zunehmend gefährdet. Aus Sicht des afrikanischen Verbandes sind diese Probleme nicht zuletzt das Ergebnis von schwacher Regierungsführung, unzureichender Durchsetzung vorhandener Vorschriften und von Korruption.

Angesichts der Ausbreitung der Fischmehl- und Fischölanlagen und ihrer negativen Auswirkungen sei dringend ein multi-institutioneller Ansatz erforderlich, sagen die Mitglieder von CAOPA.  So müssten beispielsweise Anlagen und ihre Aktivitäten in Gambia genau überwacht werden. Die Fischereiministerien müssen dabei eine führende Rolle übernehmen, unterstützt von den Ministerien für Umwelt und Klimawandel, den Handelsministerien und den Justizministerien. Insbesondere die Justizministerien nehmen eine Schlüsselstellung ein, weil die Kleinfischerei inzwischen durch verbindliche und nicht verbindliche internationale Instrumente geschützt wird, die es in die nationalen Gesetzgebungen umzusetzen gilt.

Eine solch kritische Position zur Fischmehlproduktion durchzieht in den letzten Jahren viele internationale Debatten zur Aquakultur und wird von der Stiftung „Changing Markets“ und ihrer Kampagne „Fishing the Feed“ geteilt. Ihr Bericht „Fishing for Catastrophe“ kommt zum Schluss, dass angesichts der auftretenden ökologischen und sozialen Probleme bei der FMFO-Produktion sowie der auf einen historischen Tiefstand geschrumpften globalen Fischbestände Fischmehl und Fischöl aus ganzen Wildfischen keinen Platz in der Zukunft der Ernährung hat: in Gambia nicht und auch sonst nicht!

Verwendete Quellen:

Fair Oceans (2019): Activities of fishmeal and fish oil plants and their consequences on women fish workers. Focus on The Gambia. Autor: Dawda F. Saine.english background report Fishmeal Gambia

Fair Oceans (2019): Fisch und Equal Pay-Frauen in der Fischerei. Autor: Christoph Spehr. https://fair-oceans.info/medien/broschueren/

Consultative meeting on Fishmeal Plants in Gambia by CAOPA: https://www.facebook.com/caopa.africa/posts/2834350446578667?comment_id=2834361383244240

Changing Markets Foundation (2019): Fishing for catastrophe. How global aquaculture supply chains are leading to the destruction of wild fish stocks and depriving people of food in India, Vietnam and The Gambia; https://changingmarkets.org/wp-content/uploads/2019/10/CM-WEB-FINAL-FISHING-FOR-CATASTROPHE-2019.pdf